Ein Beitrag von Josef Pertschi und Peter Johler
Die Städte waren zerbombt, es wimmelte von Flüchtlingen, den sog. „Rucksackdeutschen“. Die Versorgung
der Menschen mit Lebensmitteln und Gebrauchsgütern zwischen 1945 und 1948 war katastrophal. Die
Gemeindeverwaltungen und Bürgermeisterämter hatten es nicht leicht, die ihnen zugewiesenen
Vertriebenen aus den Ostgebieten unterzubringen. Es kam oft zu Reibereien., Die Einheimischen konnten
unsere Lage nicht verstehen; das Verhältnis zu ihnen war gespannt. Oft hörte man: Die haben nichts
getaugt, sonst hätte man nicht hinausgeschmissen, oder „ wenn die etwas besessen hätten wären sie zu
Hause geblieben“. So manche Diffamierung musste hingenommen werden – eine bittere Enttäuschung für
unsere hart geprüften Menschen.
Freilich waren solche Reaktionen der Einheimischen auch halbwegs verständlich. Ohne jede Ahnung von
der donauschwäbischen Verhältnissen in der alten Heimat, schätzten sie dies falsch ein und zogen
aufgrund des gegebenen Augengenscheins die falschen Schlüsse. Zudem erschwerten Unterschiede in
Sprache und Konfession, in Brauchtum und Sitte die Kommunikation und den Umgang miteinander
Missverständnisse, Abgrenzung und Diskriminierung waren die Folgen davon. Andererseits hatte auch
ihnen der Krieg schwere Wunden geschlagen, wenn sie auch weniger Tote zu beklagen und die Heimat
nicht verlassen mussten.
Hatte es z.B. vor dem Krieg im Bereich Waiblingen/Württemberg ganze 2000 Katholiken gegeben, so leben
im umbenannten Rems-Murr-Kreis nun um die 120.000 Katholiken, also rund 1 Drittel der Bevölkerung. Es
machte einen Unterschied, ob man aus der bäuerlich–konservativ geprägten katholischen Batschka kam
oder im hauptsächlich evangelisch geprägten häufig von Kleinindustrie bestimmten Württemberg
aufgewachsen war. Gottesdienste mit fremden Kirchenliedern, ungewohnte Trachten, das Feiern von
Kirchweih und Erntedank, der Drang zur Geselligkeit, wie er sich in der Fremde besonders stark ausformte,
das alles stieß zunächst mehr auf Unverständnis denn auf Neugier und es gab häufig Anlass zu Spott und
Verachtung. Das Verhältnis zur einheimischen Bevölkerung änderte sich aber rasch, als man bemerkte,
dass die neuen Nachbarn friedliche, fleißige und fortschrittlich denkende Menschen waren.
Über die wirtschaftliche Eingliederung berichtet Peter Johler:
Johler fand 1948 in einer Lederfabrik Beschäftigung. „In dieser Zeit kam es öfter vor, dass wir 70 Stunden in
der Woche gearbeitet haben. Im Laufe der Zeit wurde der Lohn erhöht und man konnte ans Sparen
denken. Auch suchte man die Verbindung mit den Landsleuten. Man ging sich besuchen, in der Umgebung
von Stuttgart, Backnang und im Remstal. Dabei tauchte recht bald Frage auf, wie man möglichst rasch zu
einem Eigentum kommen kann.“ Den Worten Johlers lassen sich drei wesentliche Aspekte entnehmen, die
entscheidend dazu beitrugen, dass der Start in die neue Heimat gelang;
außer gewöhnlicher Arbeitseinsatz,
Geldrücklagen bereits zu einem Zeitpunkt, da es noch um das Erreichen des Existenzminimums ging,
und die klare Zielrichtung, die Errichtung eines Eigenheims.
Diese Haltung dürfte typisch für alle donauschwäbischen Flüchtlinge gewesen sein.
Beim Einreichen eines Baugesuches musste immer die Finanzierung nachgewiesen werden. Das
Eigenkapital war zu dieser Zeit sehr gering. Neben der staatlichen Förderung nahmen die Meisten noch
eine Hypothek in Anspruch, der Rest wurde durch die Zusage einer Eigenleistung in Form von Arbeit am
Bau gedeckt. Die Baubehörde verhielt sich anfangs bezüglich der Eigenleistung etwas misstrauisch. Sie
glaubte nicht an die Ableistung der Bauarbeit und fürchtete die Vergeudung der Staatsgelder, sollte der
Bau halbfertig dastehen. Erst nach langer Überzeugungsarbeit wurde anfangs der fünfziger Jahre, z.B. die
erste Baugenehmigung im Raume Winnenden erteilt. Es zeigte sich, dass die donauschwäbischen
Ortsbewohner eine unzertrennliche Gemeinschaft geblieben waren – es fehlte nämlich nie an freiwilligen
Bauarbeitern. Jeder, der ein Eigenheim bauen wollte, konnte sich der Hilfe seiner Landsleute sicher sein,
ein Pfund, mit dem er wuchern konnte. Oft standen zehn bis zwölf Freiwillige bereit und opferten ihre
Freizeit am Abend oder am Samstag. Manchmal auch am Sonntag wenn es unbedingt sein musste, auch
am Sonntag. Bei manchen erreichte auf diese Weise die Eigenleistung ein Drittel der Bausumme. Dies
bildete bei vielen Donauschwaben Anfang der fünfziger Jahren die Voraussetzung mit dem Bau eines
Eigenheimes zu beginnen. Da sich auch die erste Nachfolgergeneration der Filipowaer als bauwillig erwies,
konnte z.B. zwischen 1950 und 1953 in Winnenden–Leutenbach 24 Eigenheime bezogen werden, welche
durch die geschilderten Umstände entstanden.
Der Bau eines Eigeheimes ermöglichte nicht nur die Beendigung des Labens in der Baracke bzw. in den
beengten Wohnverhältnissen einer Einquartierung durch die Behörde. In ihm konkretisierte sich der
Wunschtraum von Freiheit und Eigenständigkeit und gleichzeitig der sichtbare Erfolg eigener Leistung und
Tüchtigkeit.
Nicht zu übersehen sind darüber hinaus die psychologischen Folgen eines solchen Unternehmens. Das
neuerbaute Eigenheim bedeutete den endgültigen Abschied von der Vorstellung, doch eines Tages wieder
in die alte Heimat zurückkehren zu können. Andererseits ist das eigene Haus das Symbol für den Erfolg des
Pioniergeistes und des Aufbauwillens sowie einer optimistischen Zukunftsbetrachtung. Seine Fertigstellung
beendet nicht nur die materielle und seelische Notzeit, sondern begründet die Zuversicht, das zäher
Aufbauwille und Glaube an die eigene Kraft unverzichtbare Bestandteile seien, an der Gestaltung einer
positiveren Zukunft für alle mitwirken zu können.
Die sichtbare Aufbauleistung der Vertriebenen in den Bereichen des Handwerkes und der Industrie führten
über die Anerkennung bei den Einheimischen hinaus zu neuen Strukturen und zu einer Offenheit im
täglichen Leben. In manchen abgelegenen und rückständigen Gemeinden bewirkte das Verhalten der
Vertriebenen einen Bildungssog. Als in Schwimmbach/Niederbayern das erste Flüchtlingskind eine höhere
Schule besuchte, folgten auch einheimische Kinder, obwohl das in der 150 jährigen Gemeindegeschichte
nicht vorgekommen war. Vertriebene und Einheimische begegneten sich jetzt auf Augenhöhe.
Dadurch, dass in den Ländern Bayern und Baden-Württemberg ungefähr jeder vierte Bürger ein
Heimatvertriebener oder dessen Nachkomme war, veränderten sich Wirtschaft, Kultur und Geschichte
beider Länder grundlegend. Die Pflege der alten Sitten, Gebräuche und Traditionen durch die
Heimatvertriebenen regte die einheimische Bevölkerung dazu an, sich ebenfalls auf diese Weise zu
besinnen. Die Regierungen beider Länder ermöglichten im Laufe der Zeit den Flüchtlingen, eigene
Geschichts-und Kulturstätten zu institutionalisieren, so dass auch die einheimische Bevölkerung ihr Wissen
über die Fremden vertiefen, ihre Geschichte verstehen und so ihren Horizont erweitern konnten.
Quelle:
Mesli, Schreiber,Wildmann: Bild einer donauschwäbischen Gemeinde
Ingomar Senz – Die Eingliederung der Donauschwaben