Die Geschichte der Donauschwaben

von Dr. Sebastian Werni, Eingliederungsbeauftragter des UNO Flüchtlingskommissars, 1950 Vorsitz im „Beirat für Flüchtlingsfragen“ des Österreichischen Bundesministerium für Inneres

Die Entstehung und der Lebensraum der Donauschwaben

Sowie die Schlacht von Mohatsch (1726) das Ende nicht nur für das politische Ungarn sondern auch für die meisten schon im Mittelalter entstandenen deutschen Siedlungen- mit Ausnahme der Siebenbürger Sachsen – bedeutete, so war die Schlacht am Kahlenberg vor den Toren Wiens (1683) der Ausgangspunkt nicht nur für die Befreiung Ungarns, sondern auch für die Neubesiedlung der an der mittleren Donau gelegenen, während der 150 jährigen Türkenherrschaft menschenleer geworden Gebiete.

Mitteleuropa vor 1918. Quelle: Archiv Freundeskreis der Filipowaer


Das Kernstück der Neubesiedlung ist das im 18. Jahrhundert – nach Rückeroberung der Batschka 1687 und des Banats 1717 durch die kaiserlichen Truppen – zuerst von einzelnen ungarischen privaten und kirchlichen Großgrundbesitzern und dann von den damaligen Wiener Regierungsstellen durchgeführte großangelegte südosteuropäische Siedlungswerk, das mit der planmäßigen Ansiedlung von vorwiegend deutschen Bauer unter Maria Theresia und Josef II – etwa 1763 bis 1786 – seinen Höhepunkt erreichte und dem schließlich die Donauschwaben ihren historischen Ursprung und ihre Entstehung als jüngster deutscher Volksstamm verdanken. Geographisch begrenzt sich ursprünglich der Lebensraum der Donauschwaben ausschließlich auf die ungarische Reichshälfte der ehemaligen Donaumonarchie, wo sie im Bakonyer Wald, um den Plattensee, im Schildgebirge, in Sathmar, im Ofener Bergland und in Budapest sowie weiter der Donau entlang in der Schwäbischen Türkei, in der Baranya, in der Batschka, in Syrmien, Slawonien, Bosnien und schließlich im Banat bis zu Eisernen Tor daheim waren.

Quelle: Archiv Freundeskreis der Filipowaer
Quelle: Archiv Freundeskreis der Filipowaer

Die Bogaroscher Schwabenpetitionund die Wojwodina-Kurzepisode

Herkunftsmäßig stammte der Großteil der deutschen Siedler aus den westlichen und südwestlichen deutschen Ländern Elsass, Lothringen, Rheinpfalz, Baden, Württemberg und Hessen. Im Laufe des späten 18. Jahrhunderts sind aber auch viele Bayern, Österreicher, Deutschböhmen und sogar Schweizer nach Ungarn gezogen. Zu den bereits im südungarischen Raum anwesenden stärkeren Gruppen von Serben und Kroaten (Bunjewatzen und Schokatzen), die aus türkisch besetzten Balkanländern in dieses jahrhundertalte ungarische Gebiet geflüchtet waren, kamen zu dieser Zeit mit den Deutschen auch eine größere Zahl von Slowaken und Ruthenen, die heute noch je drei Orte in der Batschka bewohnen. Zudem wurde auch eine kleinere Gruppe Spanier, Franzosen und Tschechen angesiedelt, welche sich aber nicht lange halten konnten und meistens im ungarländischen Deutschtum aufgegangen sind.
Gerade in Filipowa waren z.B. im Jahr 1765 neben vielen deutschböhmischen auch insgesamt 68 tschechische Familien und ausgediente Soldaten in der „Böhmengasse“ (so die ortsübliche Bezeichnung) angesiedelt worden. Bis ins 19 Jhdt. hat man in der Kirche das Evangelium auch in tschechischer Sprache vorgetragen.
Bei der Ansiedlung kamen in den Gemeinden vielfach Siedler aus verschiedenen deutschen Gebieten zusammen. Sie vermochten erst im Laufe von Jahrzehnten ihre diversen deutschen Mundarten, Sitten und Bräuche sowie ihre Lebensweise (samt der gut ausgeprägten Kochkunst) in den einzelnen Orten einander anzupassen. Daraus erwuchs eine neue Differenzierung unter den deutschen Orten, aber insgesamt gesehen hat sich in der neuen Heimat allmählich eine geschlossene Volks- und Schicksalsgemeinschaft herausgebildet. Dieser Gemeinschaft fehlte jetzt nur mehr der gemeinsame Name. Nachdem sowohl die Madjaren als auch die Südslawen diese deutschen Menschen als Schwaben bezeichneten, obwohl nur ein Teil von ihnen aus Schwaben kam, fand man sich schließlich mit diesem Namen ab. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden dann diese Schwaben – um sie von den Schwaben in Baden-Württemberg zu unterscheiden und um ihr an der mittleren Donau gelegenen Siedlungsgebiet anzudeuten – zuerst von der wissenschaftlichen Volkskunde „Donauschwaben“ genannt. Die Geschichtsschreibung verwendet „Donauschwaben“ als Oberbegriff bei ihrer Darstellung des Lebens und Wirkens der ab dem 18. Jahrhundert von den Habsburgern im Karpatenbecken angesiedelten Deutschen.

Durch ihre Streulage und das Fehlen eines geschlossenen Siedlungsgebietes waren die Donauschwaben, deren Zahl um 1900 – trotz starker Einbußen durch die Madjarisierung – auf über 1,5 Millionen angestiegen war, niemals richtig zu einem gemeinsamen nationalpolitischen Bewusstsein gekommen und haben auch im politischen Leben Ungarns keine besondere Rolle gespielt, obwohl z. B. Budapest im Jahr 1880 noch 123.458 deutsche Einwohner (34,2%) zählte. Das Fehlen einer einheitlichen politischen Willensbildung konnte jedoch auf Dauer gesehen – inmitten nationalbewusster Völker – nicht ohne verhängnisvolle Folgen bleiben. Das einzige kurze nationalbewusste Aufleuchten bei Donauschwaben war die sogenannte Bogaroscher Schwabenpetition. Nach der Niederwerfung der ungarischen Revolution von 1849 und im Zuge der damals geplanten Neuordnung des Reiches, vor allem jedoch angeregt durch die Forderung der südungarischen Serben nach einer eigenen serbischen Wojwodschaft, haben auch die Schwaben am 2. Oktober 1849 in einer Petition an den Kaiser um die Einsetzung eines eigenen deutschen Grafen als unmittelbares Oberhaupt ersucht. Nach langen Beratungen, vielen Vor -und Gegenvorschlägen, hat dann der Kaiser am 18. November 1849 mit eigenem Patent die südöstlichen Reichsgebiete zu einem neuen Kronland unter dem Namen „Wojwodschaft Serbien und Temescher Banat“ mit dem Sitz in Temeswar zusammengefasst, verwaltungsmäßig von Ungarn abgetrennt und direkt Wien unterstellt. Das neue Kronland, das aber nur das südöstliche Kerngebiet der Donauschwaben umfasste, hatte eine Bevölkerung von knapp 1,5 Millionen, davon waren nach einer damaligen Statistik (Czornig, Die Verteilung der Volksstämme in der Österr. Ung. Monarchie, Wien 1856) 397.459 Rumänen, 386.906 Serbokroaten, 335.080 Deutsche, 221.885 Magyaren und Angehörige von Kleingruppen. In der Folgezeit wurde ein eigenes Landesstatut ausgearbeitet, wonach in der Landesversammlung nach dem Grundsatz der nationalen Gleichberechtigung alle Nationalitäten entsprechend vertreten waren. Die historische Chance Wiens, dieses Vielvölkergebiet nun einer allgemeinen Befriedigung zuzuführen und die sogenannte Wojwodina allmählich in eine südosteuropäische Schweiz umzugestalten, wurde leider vertan. Nach den Niederlagen in Italien und bei Königgrätz gegen Preußen musste sich das Kaiserreich im sogenannten „Ausgleich von 1867“ zu Österreich-Ungarn umgestalten. Die Wojwodina wurde wieder Ungarn eingegliedert, das Prinzip der Gleichberechtigung der Nationalitäten wurde aufgegeben, wodurch alle Nationalitäten samt den Deutschen den Madjaren auf Gnade und Ungnade ausliefert waren. Im Grunde wurde damit, wie sich Ende des Ersten Weltkriegs zeigen sollte, auch das Schicksal der Donaumonarchie und in der Folge auch das Schicksal der Donauschwaben besiegelt.

Die Verteilung der Bevölkerungsgruppen nach ihrer Sprachzugehörigkeit. Quelle: Archiv Freundeskreis der Filipowaer

Die Zerteilung der Siedlungsgebiete der Donauschwaben, ihre Aussiedlung und Vertreibung

Der Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie im Jahr 1918 hatte den Donauschwaben ein ähnliches Schicksal beschieden, wie es einst die Polen ereilte und bis heute Kurden teilen: Die mitten durch die donauschwäbischen Siedlungsgebiete gehende Dreiteilung zerriss endgültig auch die lose territoriale Geschlossenheit des Südostdeutschtums, wobei rund 550.000 (einschließlich Untersteirer und Gottscheer) zu Jugoslawien, 650.00 (einschließlich Siebenbürger Sachsen) zu Rumänien kamen und rund 550.000 bei Ungarn blieben.
Die Friedensdiktate von St. Germain und Trianon brachten keine Lösung der Nationalitätenfrage, sondern verschärfte diese noch, indem man aus einem großen Vielvölkerstaat willkürlich vier kleine Vielvölkerstaaten schuf. Kaum hatten sich die Donauschwaben nach der Zerschlagung des großräumigen Donaureiches den veränderten Verhältnissen in ihren neuen Heimatstaaten Ungarn, Rumänien, Jugoslawien angepasst, wobei sie ihren Beitrag zu deren wirtschaftlichen Aufbau bereitwillig leisteten, kamen neue schwere Schicksalsschläge auf sie zu. Der Zweite Weltkrieg, sein Verlauf und seine Folgen wurden für sie zur Tragödie. Vor den anrückenden Sowjettruppen flüchteten im Herbst 1944 aus den genannten drei Staaten insgesamt fast 270.000 Donauschwaben in Richtung Österreich und Deutschland. Ungarn erreichte auf der Potsdamer Konferenz 1945 die Zustimmung der Alliierten, mehr als 220.000 seiner Schwaben nach Deutschland auszusiedeln. Die Ausrottungsmaßnahmen Jugoslawiens in Form von Lagerinternierung und Erschießung, die Deportation zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion und der Waffendienst in der deutschen, ungarischen und rumänischen Armee kosteten insgesamt rund 160.000 der 1,400.000 Donauschwaben des Südostens das Leben. Der Partisanenkrieg in Jugoslawien mit seinen Grausamkeiten schürte den Hass auf alles Deutsche, die Vertreibungen aus Polen und der Tschechoslowakei boten nationalistischen Politikern das Beispiel einer Lösung, der aufgestaute Neid auf die wohlhabenden Donauschwaben konnte sich an deren Besitz schadlos halten und die geplante realsozialistischen Kollektivwirtschaft brauchte ihre Felder und Wirtschaftsgüter. Sie galten sie in den Augen der kommunistisch dominierten Partisanenbewegung als „Klassenfeinde“ und als angebliche Feinde der „Volksbefreiungsbewegung.“ Die Donauschwaben, welche die Katastrophe überlebten, fanden in über 15 Staaten der Welt eine neue Bleibe. Die meisten dieser als „Heimatvertriebene“ geltenden Donauschwaben fanden in Deutschland, Österreich, in den USA und Kanada eine „neue Heimat“.
Genauere Zahlenangaben sind n8ur dann aussagekräftig, wenn man sie sich ungefähr auf dieselbe Erhebungszeit beziehen. So belief sich die Zahl der eingebürgerten Donauschwaben in Österreich zur Zeit des Staatsvertrags 1955 auf 120.000-130.000 Personen. Vor der starken Aussiedlung der Rumäniendeutschen ergab eine aus 1956 stammende Volkszählung 187.000 Banater Schwaben. Eine amtliche in Jugoslawien 1953 durchgeführte Volkszählung ergab trotz Vertreibung und Aussiedlung rund 60.000 Deutsche. In Ungarn lebten um die Zeit des Aufstands 1956 an die 250.000 Schwaben. In der Bundesrepublik Deutschland dürften sich Mitte der 1950er Jahre 500.000, in der DDR 50.000 Donauschwaben befunden haben. 240.000 Alt- und Neueinwanderer mit Nachkommen verzeichnen die USA, (einschließlich Kanada). Kleinere Gruppen von insgesamt ca. 25.000 Personen siedelten sich in Frankreich, Brasilien, Argentinien und Australien an.

Die Hintergründe der Tragödie der Donauschwaben Jugoslawiens 1944/45

Mit der Anschuldigung des Vaterlandsverrats hat das kommunistische Regime Jugoslawiens unsere Enteignung und teilweise Vernichtung zu rechtfertigen versucht. Das letzte Motiv für die „Endlösung der Donauschwaben- Frage“ dürften aber die Missgunst und der Neid gewesen sein., mit welchem man den wirtschaftlichen Wohlstand der Donauschwaben seit langem begegnete. Schließlich hatte man schon lange vorher von nationalistischer serbischer Seite (z. B. im Programm der Četnik-Bewegung) ganz konkret die Enteignung, Vernichtung und Vertreibung aller nichtserbischen Nationalitäten des ehemaligen südungarischen Vielvölkergebietes eingeplant gehabt, obwohl dieses während der Türkenzeit fast menschenleer gewordene Gebiet nie zu Serbien gehört hatte, sondern erst durch vor den Türken aus Serbien geflüchtete Serben – jedoch nur zu einem knappen Drittel – besiedelt worden war. Bei den Filipowaer Ortsbewohnern selbst herrschte in dieser schicksalsschweren Zeit leider ein weltanschaulich-politischer Zwiespalt, gewissermaßen eine „Scheidung der Geister“. Die Filipowaer waren stets sehr volksbewusst gewesen und haben auch bei dem allgemeinen nationalen Erwachen der Südostschwaben nach dem Ersten Weltkrieg im Schwäbisch-deutschen Kulturbund und der Deutschen Partei aktiv mitgetan. In ihrem Leben waren aber bekanntlich die Religion und die kirchlich-religiösen Grundsätze sehr verankert, die unweigerlich mit den um diese Zeit eingeschleusten nationalsozialistischen Ideen in Widerspruch geraten mussten. Folglich haben sich im Ort allmählich zwei Fronten gebildet: die Sympathisanten einer nationalsozialistisch eingefärbten „Volkstreue“ und die Anhänger eines religiös orientierten Donauschwabentums. Als sich dann im Oktober 1944 die Russen und Partisanen näherten, ist der Großteil der Bevölkerung nicht geflüchtet, weil er sich keiner Schuld bewusst war und glaubte, vor jedermann – auch vor der neuen Staatsgewalt – bestehen zu können. Die einziehenden Sieger – die vorgaben, gegen den Nationalismus und Rassismus ausgezogen zu sein – haben aber bei den angetroffenen Donauschwaben keinen Unterschied gemacht, sie sahen in ihnen nur Deutsche und haben sie dementsprechend brutal und rücksichtslos behandelt, wie es die blutige Schicksalsbilanz 1944 – 1948 von Filipowa beweist.

Was heute als historische Wahrheit niemand und ernstlich bestreitet

Wenn wir abschließend auf das geschichtliche Urteil über dieses unser nach seinem Schicksalsstrom benannte schwer geprüfte Völklein blicken und dabei die Meinungspalette vom „braven Bauernvolk“ bis zur „kriminellen Minderheit“ überschauen , dann möchte man mit Schiller ausrufen: „Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.“ Im gleichen Kolonistengeist, mit dem die Donauschwaben vor 250 Jahren im verödeten und versumpften Südosteuropa ihr großes Aufbauwerk begannen und vollführten, haben auch deren Nachkommen nach der Katastrophe der Jahre 1944 – 1948 sofort wieder von vorne angefangen und mit ungebrochenem Lebenswillen an das Werk einer neuen Zukunft Hand angelegt, ganz gleich, wohin sie das Schicksal verschlagen hatte. Wenn man daher ohne Beschönigung und ohne Voreingenommenheit Geschichte und Gegenwart der Donauschwaben überblickt, dann wird man als objektiver Beobachter anerkennen müssen, dass die Kulturleistung der Donauschwaben, die durch die wirtschaftliche Erschließung des mittleren Donauraumes zur Entfaltung kam, ein Ruhmesblatt der europäischen Geschichte darstellt, und dass die Donauschwaben auch heute sowohl für ihren alten Heimatraum, auf dem sie noch teilweise verblieben, als auch für ihre neuen Heimatländer in kultureller, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht einen bedeutenden Aktivposten verkörpern. Die Kulturleistung der Donauschwaben in ihrem südosteuropäischen Siedlungsraum ist – in sachlicher Atmosphäre – stets auch von ungarischer, serbischer und rumänischer Seite anerkannt und gewürdigt worden. Es bleibt nur zu hoffen, dass durch eine neue Versöhnungsbereitschaft, durch die Achtung vor der Gesinnung des Andersdenkenden und durch ehrliche Anerkennung des Existenzrechtes auch des Anderen allmählich wieder gegenseitiges Verständnis und Vertrauen zwischen den Völkern und Nationalitäten des Donauraumes entsteht.

Quelle: Paul Mesli/Franz Schreiber/Georg Wildmann: Filipowa – Bild einer donauschwäbischen Gemeinde, Band I: Geschichte und Wirtschaft, Wien 1978, Seite 9 -17

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