Filipowa – eine Erinnerung. 1763 bis 1945

Betrachtungen unserer Geschichte
Dr. Georg Wildmann

Zeit der Ansiedlung
Nachdem die Batschka von der Herrschaft der Osmanen befreit war, – der Sieg
Prinz Eugens bei Senta 1697 bildete den entscheidenden Wendepunkt – war das
Landgut Philippowa ohne adeligen Grundherren, daher hat es die kaiserliche
Hofkammer in Wien verpachtet. Kaiserin Maria Theresia hob 1762 die Pacht auf
und befahl die Kolonisation, eben als sie dabei war, mit Friedrich II. von Preußen
Frieden zu schließen. Sie verlor Schlesien an Preußen, gewann aber durch ihre
kolonisatorische Leidenschaft ein wirtschaftlich und kulturell aufsteigendes
Ungarn, dessen Königin sie war, hinzu. Unsere Ansiedlung verdankt sich also dem
Beginn einer Friedenszeit. Und weil nach 150 Jahren Türkenzeit nur wenige
Bauern und noch weniger Handwerker in der Batschka lebten und sehr viel brach
liegendes Land vorhanden war, beschloss sie, aus ihren deutschen und böhmischen
Erbländern, aber auch aus den Ländern des Reiches Kolonisten anzuwerben. Die
Kolonisten kamen aus dem heutigen Schwaben, aus Baden, aus der Pfalz, aus dem
Elsass, aus Lothringen, aus Mähren, Böhmen und Österreich. Das alles begann vor
255 Jahren. Und für viele, die meisten, begann die eigentliche Reise in Ulm.

Der kaiserliche Ansiedlungsleiter war Baron Anton von Cothmann. Dieser schickte
1763 die ersten 50 Familien nach Filipowa. Weitere kamen hinzu und schon im
Herbst standen 75 Häuser aus gestampfter Erde! Im nächsten Jahr trat der erste
Pfarrprovisor sein Amt an. Und das Bethaus, ebenfalls aus Erde gestampft und mit
Rohr gedeckt, den Aposteln Philipp und Jakob gewidmet, war am Palmsonntag
1764 auch fertig und wurde geweiht.
Um 1772, rund 10 Jahre nach Ansiedlungsbeginn, waren es 250 Häuser und mehr
als 1000 Bewohner. Und 20 Jahre nach der Ansiedlung waren es trotz der hohen
Kindersterblichkeit schon 1600 Einwohner. Unsere Ahnen haben dazu beigetragen,
dass das Land im Südosten des Reiches ein Land der Kultur nach europäischem
Standard wurde.

In den 182 Jahren des Bestandes der Gemeinde Filipowa (1763-1945) verzeichnet
der Ort 15 große Heimsuchungen:
Es gab drei große „Wasserjahre“ (1785, 1855, 1870/71) durch aufsteigendes
Grundwasser. Das größte war 1785. Von den rund 1700 Einwohnern sind in diesem
Jahr 171, also 10 % verstorben. Das Wasser ließ zahllose gestampfte Häuser
zusammenfallen. Man ersuchte den Kaiser Joseph II. um Erlaubnis, das Dorf
andernorts neu aufzubauen und um Nachlass der Steuer. Der Nachlass der Steuer
wurde gewährt. 1786 hat der mit vereinten Kräften ausgehobene Teichgraben geholfen.

Daher kursierte der Spruch: „Alles was wir haben, verdanken wir dem
Graben.“

Es gab vier große Choleraepidemiejahre (1829, 1831,1836, 1849). Beim
zweitgrößten, 1836, gab es an einem Tag zusammen mit dem Pfarrer waren es 15
Tote. Das größte Cholerajahr, jenes von 1849, war auch das größte Totenjahr der
Ortsgeschichte: es starben 326 von rund 2500 Ortsbewohnern, also 13 Prozent in
einem Jahr.

Es gab fünf große Dorfbrände (1832, 1852, 1861,1862 und 1863). 1832 brannten
80 Häuser ab, beim größten, dem von 1861, brannte ein großer Teil des Dorfes ab.
Von den etwa 400 Häusern wird es schon die Hälfte gewesen sein. Und auch die
Heuschrecken haben das Dorf zweimal nicht verschont.

Es gab mehrere schwere Hagelgewitter, eines vernichtete 80 Prozent der Ernte;
zweimal wurde dabei der Kirchturm heruntergerissen. Am 23. Mai 1866 erfroren
alle Saaten – es wurde das Jahr des Kukuruzbrotes.

Die größte Heimsuchung bildeten die letzten drei Jahre des Bestandes des Dorfes
1945-1948. Diese drei Jahre forderten 1181 Ziviltote: Die Ermordung der Männer,
die Deportation nach Russland und in die Arbeits- und Vernichtungslager 1945, das
sind 22 Prozent Verlust durch Verfolgung und Vertreibung.
Die Ermordung von 212 Männern aus einem Ort, an einem Ort, in einer Nacht ist
das größte an Deutschen verübte Pogrom in der Batschka. So geschehen am 25. 11.
1944. Erschreckend ist der Blutzoll der Männer des aktivsten Alters: 215
erschossen, 28 in der Russlanddeportation verstorben, 232 als Soldaten gefallen
oder vermisst: insgesamt 475 Männer des aktivsten Lebensalters. Alle Opfer
insgesamt belaufen sich auf 1413 Personen, das sind 26,7 Prozent der zuletzt 5 306
Einwohner zählenden Gemeinde.

Die großen Freuden sind schwer zu konstatieren, jedenfalls dürften die
Fertigstellung der Kirche 1806, die Eröffnung der Klosterschule 1905 und das
Heimatfest vor 80 Jahren, 1938, festliche Höhepunkte gewesen sein.

Charakteristik: Filipowa ist der Ort des größten Kinderreichtums unter den
deutschen Gemeinden der Batschka, besonders bekannt ist er mit der wohl als
sensationell zu nennenden Tatsache, dass er in den letzten 50 Jahren seines
Bestandes bei einer durchschnittlichen Seelenzahl von
5000 – 133 Ordensschwestern und 50 geistliche Berufe hervorgebracht hat, jene,
die den geistlichen Beruf nur eine gewisse Zeit ausgeübt haben, nicht mitgezählt.
Ehescheidungen sind zwischen Ansiedlung und Vertreibung keine registriert.

Die emotionale Last des Brückenschlages 75 Jahre nach
der Vertreibung.  Trauma des Heimatverlustes.
Als erstes sollte man bedenken, dass die für die Vertriebenengeneration die
Vertreibung, zusätzlich zum Verlust an lieben Angehörigen, auch den Verlust ihrer
ganzen Lebenswelt bedeutete – und die Notwendigkeit, eine neue Heimat zu finden
und eine neue Existenz aufzubauen. Vielen der Älteren ist dies zwar mit dem
Verstand, nicht aber mit dem Herzen gelungen. Der Verstand erwarb sich Beruf,
Haus, Familie, das Herz blieb daheim in der Welt, in der man geboren war.
Schwere Menschenverluste, die Donauschwaben Jugoslawiens beklagen insgesamt
20 % Verlust ihrer Bevölkerung durch den 2. Weltkrieg, die Gemeinde Filipowa
beklagt 27%.

Schwere Vemögensverluste:
Den seit 180 Jahren in Filipowa lebenden Donauschwaben wurden 800 Häuser,
eine Reihe von Betrieben, Dampfmühle, Kirche, Friedhof sowie Flurflächen,
Wiesenflächen, Weingärten rund 9.450 Katastraljoch bzw. 5.450 Hektar geraubt.
Dennoch mussten für die beträchtliche Summe , die die Errichtung der
Erinnerungsstätte kostete, die Vertriebenen vormaligen Einwohner und deren
Kinder durch ihre Spendenaufkommen aufbringen. Die Ehre ihrer Toten war es
ihnen wert.

Wenig politischer Problemlösungswille:
Die materielle Entschädigung wird in Serbien und Kroatien staatlicherseits auf die
lange Bank geschoben. Die Verbrechen an Leib und Leben, die an
Jugoslawiendeutschen begangen wurden, blieben bislang ungesühnt.

Geringer Verlass auf Politik:
Die Errichtung der Gedenkstätten waren Erfolge der „Bürgerdiplomatie und
Bürgerpolitik“, während die „Staatspolitik“ nicht viel zur kulturellen und
geschichtlichen Rehabilitierung sowie wirtschaftliche Entschädigung beitrug. Die
Initiative kam „von unten“ und ebenso der Erfolg. Dasselbe gilt für die Errichtung
der Gedenkstätte in Filipowa. Es bleibt die Frage nach der Verläßlichkeit der
„hohen Politik“.
Zögerlicher Stimmungswandel: Die moralische und kulturelle Rehabilitation der
Donauschwaben des vormaligen Jugoslawien ist im Gange, allerdings mehr in den
Medien. In der breiten Masse der Bevölkerung schein seit ca. 2008 ein
Bewußtseins- und Stimmungswandel zugunsten der Vertriebenen eingesetzt zu
haben.
Gerechtigkeit für wen?
Bei allen versöhnlichen Gesten und aller Anbahnung der begrüßenswerten
Erinnerungsgemeinschaft sollte eines klar sein: Ein Verbrechen bleibt ein
Verbrechen, was immer seine Ursachen und Folgen waren. Die Gerechtigkeit sollte
unteilbar sein, sie ist es aber den Donauschwaben gegenüber nicht.

Erinnerung braucht Orte.
Die Erlebnisgerneration ist im Abgang begriffen, sie fühlt sich
verantwortlich, bleibende Zeichen zu setzen
Ansiedlerdenkmal von Sebastian Leicht. Errichtet 1938.

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Foto: Archiv Freundeskreis der Filipowaer

Es symbolisiert die Arbeit, die Familie und die Religiosität der Bewohner von
Filipowa. Es wurde kurz nach der Machtübernahme der Tito – Partisanen 1945
umgestürzt und zerstört.

Gedenktafel am Donauschwabenufer in Ulm. Errichtet 2008

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Foto: Archiv Freundeskreis der Filipowaer

Am Donauschwabenufer in Ulm ist eine Gedenktafel für Filipowa angebracht. Auf
der Tafel steht der oft zitierte Satz eines berühmten Sohnes unserer
Heimatgemeinde, des Priesters, Politikers und Dichters Stefan Augsburger:
„Nicht mit dem Schwert, mit der Pflugschar erobert, Kinder des Friedens,
Helden der Arbeit.“
Ein erinnerungsträchtiger Satz!
Die beiden Abbildungen auf der Gedenktafel bestätigen als Symbole diese
Aussage: Die vor 212 Jahren erbaute Kirche steht für „Kinder des Friedens“ und
das 1938 – errichtete „Ahnendenkmal“ – wie wir sagten – steht für „Helden der
Arbeit“. Wer genau hinsieht, erkennt, dass der Mann die Schaufel festhält. „Die
Schaufel brauchte jeder, sie ist das Wahrzeichen der Arbeit, den Pflug führt nur der
Bauer“, so die Deutung des Künstlers Sebastian Leicht. Das Ahnendenkmal
verkörpert zudem die Familie und – die Frau faltet dem Kind die Hände – auch die
Religiosität. Beides, die Kirche und das Ahnendenkmal, existieren in Filipowa
nicht mehr (Die Kirche verschwand nach 162 Jahren, das Ahnendenkmal schon
nach 7 Jahren)

Gedenkstätte auf dem ehemaligen Friedhof von Filipowa dem heutigen
Backi Gracac.

Vor 250 Jahren – bezogen auf das Jahr 2013 – wurde mit dem Eintreffen der ersten
Ansiedlungswelle unserer Vorfahren „Philippowa“ im Auftrag der Kaiserin Maria
Theresia, Königin von Ungarn, offiziell gegründet. Möge die Erinnerung an
kolonisatorische Leidenschaft der damaligen Herrscher erhalten bleiben. Die
Gedenkstätte auf dem vormaligen Friedhof, errichtet 2008, betrachten die noch in
der alten Heimat geborenen Filipowaer als letztes Bauwerk ihrer Dorfgeschichte.
Die Geschichte des Dorfes ist geschlossen – Filipowa wird Erinnerung

Die Gedenkstätte in Filipowa (heute Backi Gracac) errichtet 2008. Foto: Kupferschmidt

Die Gedenkstätte auf dem vormaligen Friedhof steht für den Schmerz der
Erinnerung. Sie steht auch für die Ehre der Toten, die dort seit der Ansiedlungszeit
ihre letzte Ruhe gefunden haben. Mit ihren Freuden und Leiden waren sie
Menschen, die als friedliebende Bauern, Handwerker, Arbeiter und Kaufleute das
bessere Leben suchten.

Die Gedenkstätte „Heuwiese“

 

Die Gedenkstätte „Heuwiese“. Errichtet 2011. Foto: Kupferschmidt

Auf der zwischen Hodschag (Ozaci) und Filipowa (Backi Gracac) liegenden „Heuwiese“ ruhen die 212 Männer und Jugendlichen der Donauschwaben aus Filipowa. Die Gedenkstätte ist ein Gelände von 8. 000 m² mit 3 aufgeschütteten Grabhügeln und dem in der Mitte des Geländes stehenden Gedenkkreuzes in dessen Sockel die 212 Namen der Ermordeten an sie erinnern.

Die Heuwiese ist zu einer Stätte des mahnenden Gedenkens geworden, ein Ort des Friedens und der Versöhnung. Eine kleine Zahl der Erlebnisgeneration durfte diesen Tag der Einweihung am 18.Juni 20011, 66 Jahre nach dem Massaker noch erleben. Mit der Errichtung dieser Gedenkstätte ging ein jahrzehntelanges Bemühen und geduldiges Warten voraus. Was hier vollzogen wurde war ein Akt der Vertiefung der Menschenwürde in dem man den grausam Getöteten und pietätlos Verscharrten, ihre Namen und ihre Würde wieder gegeben wurde.

Zeichen der Hoffnung auf eine friedliche Zukunft.

Auszug aus der Rede des Parlamentspräsidenten der Voivodina/Serbien, Sandor Egeresi, anläßlich der Einweihung der Gedenkstätte „Heuwiese“ am 17.Juni 2011:

Der Anlass, aus dem wir uns hier eingefunden haben, weckt tiefe Erinnerungen an eine gemeinsame Vergangenheit, ein Zusammenleben, dass sich hier in der pannonischen Ebene ereignete. Hunderte Jahre lang in Freundschaft, guter Nachbarschaft und gegenseitiger Achtung abgewickelt hat. Leider sind im Kriegswirbel des Zweiten Weltkrieges viele unschuldigen und schuldlose gefallen; viele wurden aus ihren Heimen vertrieben, viele unter ihnen bedeutend viele Donauschwaben, sind in Lagern in der Voivodina unmittelbar nach dem Krieg gestorben und der größte Teil wurde vertrieben und hat seine Heimatorte verlassen. An diesem Ort, an dem wir uns versammelt haben, gedenken wir mit Pietät aller derjenigen, die ihr Leben verloren haben und bitten um Verzeihung für das zugefügte Leid und tragische Schicksal. Dieses Gedenkkreuz ist zugleich auch ein Symbol derjenigen Werte, die Glauben an die Zukunft wecken – an das Leben, den Dialog und die Versöhnung, Danke!

Diese Rede stellt einen historischen Markstein dar. Die Bitte um Entschuldigung und Verzeihung eines hochrangigen Vertreters der Vojvodina, hat es bislang nicht gegeben. Das stellvertretende Schuldbekenntnis aus Verantwortung für die zurückliegende dunkle Geschichte dieses Landes ehrt den Mann, der es äussert, schafft die Voraussetzung für eine ehrliche Vergebung, setzt ein Friedenszeichen und ebnet die Wege der Begegnung. So haben unsere unschuldigen Toten, die auf der „Heuwiese“ liegen, einen neuen Weg in eine friedvolle Zukunft eröffnet. Ihr Tod war nicht umsonst.


Quelle: Auszüge aus; Georg Wildmann – „Filipowa eine Erinnerung“ 2010 und „Gedenkstätte auf dem Gräberfeld“ 2011 – Sonderausgaben des Filipowaer Heimatbriefes.

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