Paul Mesli, Zeitzeuge
Die Vertreibung der Filipowaer aus ihren Häusern und ihrem Heimatort sowie das Ende von Filipowa als einer donauschwäbischen Gemeinde nach über 180 Jahren sind im Tagebuch von Paul Mesli (1907 bis 1995) beschrieben, das er aus allen Gefahren des Lagerlebens in die Freiheit retten konnte. Demnach versammelten sich am 31. März 1945 etwa 200 Partisanen bei der Dreifaltigkeitssäule in der Ortsmitte. In der Kirche feierten Pfarrer Peter Müller und mehrere Priester, die mit ihren Gemeinden wenige Tage zuvor nach Filipowa getrieben worden waren, die Karsamstagsliturgie. Plötzlich rief jemand in die Kirche hinein: „Wir werden vertrieben.“ Partisanenkommandant Sekic trieb die Leute aus der Kirche, die verzweifelt nach Hause liefen. Anschließend verteilten sich die Partisanen in fünf Kolonnen auf die fünf langen Gassen von Filipowa und begannen vom südlichen Ortsende aus die Leute aus den Häusern zu treiben – sowohl die Filipowaer wie auch die einige Tage zuvor hergetriebenen Karawukowaer und Batsch-Sentiwaner.
Was sich dann ereignete, beschrieb Mesli folgendermaßen: „Die Leute kamen mit Bündeln auf den Rücken, mit Schubkarren und Kinderwagen, alles vollbeladen, und die Partisanen trieben sie brutal wie eine Herde vor sich her. Immer dichter wurde der Zug auf der Gasse, auf dem Fahrweg. Es waren die Leute aus allen Häusern der Unteren Kirchgasse. Sie zerrten sich ab an ihren letzten Habseligkeiten, die sie sich von daheim noch mitnehmen durften, dazu kamen noch die kleinen Kinder. – Ein unerhörtes Elend, Partisanen boxten an ihnen herum, gaben ihnen Hiebe mit dem Gewehrkolben und übten ihre Rache an unschuldigen Menschen. So haben wir als Augen und Ohrenzeugen die Vertreibung miterlebt; wir durften aber unser Lager in der Schule nicht verlassen, um unseren Familien in dieser schweren Stunde beizustehen. Wir waren zur Untätigkeit verurteilte Zeugen des Unterganges unserer Heimatgemeinde Filipowa.“ Anschließend trieb man die Menschen auf die Hutweide, wie man sonst die Kühe der Hutweide zutrieb. Mesli, der zusammen mit anderen Männern im Schulraum interniert war, musste dabei mitansehen, wie seine Familie vertrieben wurde: „Mitten auf dem Fahrweg, unter der Menschenmenge, sah ich meine Frau mit dem Kinderwagen mit der sieben Monate alten Gerlinde und einem Bündel Sachen auf dem Wagen. [Mein Sohn] Hans ging nebenher und trug ein Bündel auf dem Rücken. […] Ich glaube, es kann einem Vater nichts Schlimmeres zustoßen, als auf diese Weise der eigenen Familie beraubt zu werden.“
Quelle: Paul Mesli, Franz Schreiber, Georg Wildmann (Hrsg.): Filipowa – Bild einer donauschwäbischen Gemeinde. Sechster Band: Kriegs- und Lageropfer, Wien 1985.
Der damals 13-jährige Josef Franz Thiel beschrieb die dramatischen Ereignisse folgendermaßen: „Als ich gegen halb acht mit dem Weiheholz auf die Gasse ging, kam mir ein Partisan mit dem Gewehr in der Hand entgegen und schrie mir immer wieder zu: „Pet minuta!“ – „fünf Minuten!“ Ich lief zu meiner Mutter und sagte ihr, daß draußen ein Partisan herumschreie, daß wir in fünf Minuten das Haus zu verlassen hätten. Da wir am Dorfende, Richtung Odschag wohnten, von woher die Partisanen am Morgen einmarschiert waren, hatten wir als Erste unsere Häuser zu verlassen. Meine Mutter vergewisserte sich, ob dem auch wirklich so sei. Dann lief sie schnell und holte meine kleinen Geschwister aus den Betten; Wawi zog die drei kleinen Schwestern an. Mein Bruder Franz war erst neun Monate alt; er schlief noch in der Wiege weiter. Meine Mutter wies mir meinen Rucksack zu, in dem Kleider und Lebensmittel waren. Sie ließ mich in der Kammer einen großen Schinken holen, um ihn in einen soliden Weizensack zu stecken und mitzunehmen. Inzwischen stand der Partisan schon auf unserem Gang und schrie immer wieder: „Pet minuta!“ Als er sah, wie Mutter sechs Kinder zu versorgen hatte, wurde er ruhig und ging wieder auf die Straße, wo er weiterschrie.
Nachdem meine Mutter sich versichert hatte, daß jedes Kind seinen Rucksack hatte und Wawi neben ihrem Rucksack auch die große Tasche mit Lebensmitteln und einigen Töpfen trug, hängte sie sich zwei Säcke mit Kleidern und Windeln um und nahm Franz aus der Wiege. Meine jüngere Schwester Notburga, sie war fast vier Jahre alt, trug einen kleinen Rucksack mit ihrer Puppe und etwas Kleidung. Hedwig war schon sechs Jahre alt; sie mußte alle ihre Kleider selbst tragen. Eva war neun Jahre, sie war ein schwächliches Kind. Mutter hatte ihr nicht mehr als ihre Kleidung zugemutet. Jetzt verließen wir gemeinsam für immer unser Haus. Zwei Häuser weiter gab es große Aufregung, weil der alte Vater Johler – die beiden Johler-Priester waren seine Söhne – krank war und nicht gehen konnte. Frau und Kinder mußten ihn zurück lassen. Er starb wenige Taqe später im Notspital der Nonnen.
Der Zug kam nur schleppend voran. Immer wieder gab es in den Häusern kranke und alte nicht gehfähige Menschen. Fast alle mußten dennoch von den Angehörigen mitgenommen werden. Dann gab es auch die hochschwangeren Frauen oder solche mit mehreren kleinen Kindern. Manche Menschen reagierten ganz irrational auf die Vertreibung: Sie weinten und schrien, warfen sich zu Boden und wollen ihre Häuser nicht verlassen. Die Partisanen aber waren brutal: Sie prügelten sie mit dem Gewehrkolben zu den anderen auf die Strasse und weiter auf die Hutweide (…). In meinem Leben bin ich oft mit dem Tod und Leid konfrontiert worden, aber in meiner Erinnerung war kein Erlebnis derart von Trauer und Hoffnungslosigkeit geprägt wie unser Zug der Ausgetriebenen von Filipowa.
Quelle:Josef Franz Thiel:Fremd.zu Hause-eine donauschwäb. Kindheit1932-1947
Vgl. dazu: Georg Wildmann: Die Opfer der Rußlandverschleppung. – In: Paul Mesli / Franz Schreiber / Georg Wildmann (Hg.): Filipowa – Bild einer donauschwäbischen Gemeinde. Sechster Band: Kriegs- und Lageropfer, Wien 1985,