Die Vertreibung am 31. März 1945 – Zeitzeugen berichten

Über die Vertreibung der Filipowaer aus ihren Häusern und ihrem Heimatort sowie das Ende von Filipowa als eine donauschwäbische Gemeinde nach 182 Jahren gibt es den Bericht aus dem Tagebuch von Paul Mesli, der dieses aus allen Gefahren des Lagerlebens in die Freiheit retten konnte. Mesli war am 31. März 1945 mit einem aus Männern bestehenden Arbeitskommando schon in der ortseigenen Volksschule interniert.

Wie sie die Vertreibung als Zehnjährige erlebt beschreibt Rita Prost-Pertschy in ihrem Buch „Das Heimweh der Simon Rita“ Sersheim 1994, S. 54-57.

Der Vierzehnjährige Josef Franz Thiel schildert seine Erlebnisse in seinem Buch „Fremd – zu Hause“. 1932-1947, Wien, Köln, Weimar 2012, S. 178 ff.

Sebastian Leicht, Grafischer Zyklus. Sammlung Stiftung Arme Schulschwestern

Zeitzeugenbericht Paul Mesli
Am Karsamstag, dem 31. März 1945, versammelten sich etwa 200 Partisanen bei der Dreifaltigkeitssäule in der Ortsmitte. In der Kirche feierten Pfarrer Peter Müller und mehrere Priester, die mit ihren Gemeinden wenige Tage zuvor nach Filipowa getrieben worden waren, die Karsamstagsliturgie. Plötzlich rief jemand in die Kirche hinein: „Wir werden vertrieben“. Partisanenkommandant Sekic trieb die Leute aus der Kirche, die verzweifelt nach Hause liefen. Anschließend verteilten sich die Partisanen in fünf Kolonnen auf die fünf langen Gassen von Filipowa und begannen vom südlichen Ortsende aus die Leute aus den Häusern zu treiben – sowohl die Filipowaer wie auch die einige Tage zuvor hergetriebenen Karawukowaer und Batsch-Sentiwaner.

Die Leute kamen mit Bündeln auf den Rücken, mit Schubkarren und Kinderwagen, alles vollbeladen, und die Partisanen trieben sie brutal wie eine Herde vor sich her. – Immer dichter wurde der Zug auf der Gasse, auf dem Fahrweg. Es waren die Leute aus allen Häusern der Unteren Kirchgasse. Sie zerrten sich ab an ihren letzten Habseligkeiten, die sie sich von daheim noch mitnehmen durften, dazu kamen noch die kleinen Kinder. – Ein unerhörtes Elend, Partisanen boxten an ihnen herum, gaben ihnen Hiebe mit dem Gewehrkolben und übten ihre Rache an unschuldigen Menschen. So haben wir als Augen- und Ohrenzeugen die Vertreibung miterlebt; wir durften aber unser Lager in der Schule nicht verlassen, um unseren Familien in dieser schweren Stunde beizustehen. Wir waren zur Untätigkeit verurteilte Zeugen des Unterganges unserer Heimatgemeinde Filipowa.
Anschließend trieb man die Menschen auf die Hutweide, wie man sonst die Kühe der Hutweide zutrieb. Dann kamm am Ende noch ein Anblick für mich, auf den ich nicht gefasst war: Mitten auf dem Fahrweg, unter der Menschenmenge, sah ich meine Frau mit dem Kinderwagen mit der sieben Monate alten Gerlinde und einem Bündel Sachen auf dem Wagen. [Mein Sohn] Hans ging nebenher und trug ein Bündel auf dem Rücken. […] Ich glaube, es kann einem Vater nichts Schlimmeres zustoßen, als auf diese Weise der eigene Familie beraubt zu werden.

Quelle: Filipowaer Heimatbrief – Heft Nr 3/ S 10 ff / Juli 1963

Zeitzeugin Rita Prost – Pertschy Jahrgang 1935 schreibt:

Auf der Hutweide standen 6000 bis 7000 Menschen und erwarteten ihre Selektion: die Auswahl der Arbeitsfähigen und ihre Trennung von denen, die ins Konzentrationslager für nicht Arbeitstaugliche sollten. War das Kind zwei Jahre alt, dann ging die Mutter zusammen mit dem Kind in das KZ. War aber das Kind mehr als zwei Jahre alt, dann wurde es von der Mutter gerissen und der Großmutter oder der Tante oder den Nachbarsleuten zugestoßen: Die Mutter ging in das Arbeitslager, die drei- bis 14jährigen Kinder, mit den Kranken und über 60jährigen per Eisenbahn in Viehwaggons in das KZ Gakowa. In unbewachten Augenblicken versuchten Mütter sich zu ihren Kindern hinüber zu stehlen. Bei der Trennung der Kinder von ihren Müttern spielten sich kaum beschreibbare Szenen ab.

Konkret erlebt: „Zusammengepfercht wie eine Herde lagen die Menschen auf der Hutweide. Hier verbrachten wir den ersten Tag. Im Morgengrauen des nächsten Tages holten sie jede zweite Frau aus der Kolonne heraus und trieben sie in ein Haus hinein. Wenn die Frauen weinend wieder herauskamen, hatten sie kein Bündel, keinen Schmuck mehr. Auch einen Teil der Kleider hatte man ihnen ausgezogen. Wir haben unsere Tante getroffen. Sie hat nur noch den ausgeräumten Kinderwagen gehabt. Das Kind mußte sie ohne Bettwäsche in den Wagen legen … Am nächsten Tag ging alles wieder von vorne los..Wieder wurden die Menschen ausgeplündert.

Besonders schlimm waren die Nächte. Die Kinder weinten vor Hunger und Kälte . Die Hunde jaulten die ganze Nacht hindurch, sie waren hungrig und in den Häusern allein gelassen. Sie wurden einige Tage später alle erschossen. In den Nächten hörte man die Frauen weinen und beten ..

Als man am letzten Tag wieder plünderte, kam meine Mutter auch an die Reihe. Die Partisanen zerrten sie aus der Kolonne heraus in ein Zimmer. Als ich sie festhalten wollte, schlugen sie mir ins Gesicht. Ich spürte keinen Schmerz, denn die Angst um die Mutter war größer. Ich war froh, als ich sie lebend herauskommen sah. Aber die Freude war von kurzer Dauer. Die Mutter war kreidebleich und zitterte am ganzen Körper. Als sie mir etwas sagen wollte, floß Blut aus ihrem Mund. Auch aus ihren Ohren tropfte Blut. Man hatte ihr die goldüberzogenen Zähne herausgebrochen und die Ohrringe aus den Ohren gerissen.

Die letzte Nacht in der Heimat kam. Sie war kalt. Es war ja erst März. Den warmen Mantel meiner Schwester hatten sie der Mutter weggenommen. Nach 2 Tagen und Nächten voller Angst, Hunger und Kälte wurden wir in Viehwaggons gesteckt. Die Partisanen achteten nicht darauf, ob die Familien zusammenblieben. Als die Türen nach Stunden voller Qualen aufgemacht wurden, sahen wir, dass man uns in das Vernichtungslager nach Gakowa gebracht hatte.“

Quelle: „Das Heimweh der Simon Rita“ /Rita Probst-Pertschy/ Oswald Hartmann Verlag -Sersheim /ISBN 3 – 925 921 -21 -4 / 194 /Seite 54 – 56

Zeitzeuge Josef Franz Thiel

Der damals 14jährige Josef Franz Thiel beschrieb die dramatischen Ereignisse folgendermaßen: Als ich gegen halb acht mit dem Weiheholz auf die Gasse ging, kam mir ein Partisan mit dem Gewehr in der Hand entgegen und schrie mir immer wieder zu „Pet minuta!“ – „fünf Minuten!“. Ich lief zu meiner Mutter und sagte ihr, dass draußen ein Partisan herumschreie, daß wir in fünf Minuten das Haus zu verlassen hätten. Da wir am Dorfende, Richtung Odschag wohnten, von woher die Partisanen am Morgen einmarschiert waren, hatten wir als Erste unsere Häuser zu verlassen. Meine Mutter vergewisserte sich, ob dem auch wirklich so sei. Dann lief sie schnell und holte meine kleinen Geschwister aus den Betten; Wawi zog die drei kleinen Schwestern an. Mein Bruder Franz war erst neun Monate alt; er schlief noch in der Wiege weiter. Meine Mutter wies mir meinen Rucksack zu, in dem Kleider und Lebensmittel waren. Sie ließ mich in der Kammer einen großen Schinken holen, um ihn in einen soliden Weizensack zu stecken und mitzunehmen. Inzwischen stand der Partisan schon auf unserem Gang und schrie immer wieder: „Pet minuta!“. Als er sah, wie Mutter sechs Kinder zu versorgen hatte, wurde er ruhig und ging wieder auf die Straße, wo er weiter schrie.
Nachdem meine Mutter sich versichert hatte, daß jedes Kind seinen Rucksack hatte und Wawi neben ihrem Rucksack auch die große Tasche mit Lebensmitteln und einigen Töpfen trug, hängte sie sich zwei Säcke mit Kleidern und Windeln um und nahm Franz aus der Wiege. Meine jüngere Schwester Notburga, sie war fast vier Jahre alt, trug einen kleinen Rucksack mit ihrer Puppe und etwas Kleidung. Hedwig war schon sechs Jahre alt; sie mußte alle ihre Kleider selbst tragen. Eva war neun Jahre, sie war ein schwächliches Kind. Mutter hatte ihr nicht mehr als ihre Kleidung zugemutet. Jetzt verließen wir gemeinsam für immer unser Haus. Zwei Häuser weiter gab es große Aufregung, weil der alte Vater-Johler – die beiden Johler-Priester waren seine Söhne – krank war und nicht gehen konnte. Frau und Kinder mußten ihn zurücklassen. Er starb wenige Tage später im Notspital der Nonnen.
Der Zug kam nur schleppend voran. Immer wieder gab es in den Häusern alte und kranke Leute, die gar nicht oder kaum gehen konnten. Fast alle mussten dennoch von den Angehörigen mitgenommen werden. Dann gab es auch hochschwangere Frauen oder solche mit mehreren kleinen Kindern. Manche Menschen reagierten ganz irrational auf die Vertreibung: Sie weinten und schrien, warfen sich zu Boden und wollten ihre Häuser nicht verlassen. Die Partisanen aber waren brutal: Sie prügelten sie mit den Gewehren zu den anderen auf der Straße und weiter auf die Hutweide. […] In meinem Leben bin ich oft mit Tod und Leid konfrontiert geworden, aber in meiner Erinnerung war kein Erlebnis derart von Trauer und Hoffnungslosigkeit geprägt wie unser Zug der Ausgetriebenen von Filipowa.1

Quelle: Josef Franz Thiel: Fremd – zu Hause. Eine donauschwäbische Kindheit 1932-1947, Wien, Köln, Weimar 2012, S. 178 ff.

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