Dr. Georg Wildmann studierte Philosophie und Theologie in Linz und Rom und war jahrelang als Religionslehrer und Professor tätig. Selbst betroffen vom Trauma der Vertreibung, begann er sich im Alter von gut 30 Jahren mit dem Schicksal seiner in Deutschland, Österreich und Übersee zerstreuten Landsleute aus Filipowa und der Donauschwaben insgesamt auseinanderzusetzen. Unermüdlich arbeitete er die untergegangene Welt der Donauschwaben auf und dokumentierte sie. Er gehörte zu den Gründern des Vereins der Filipowaer Ortsgemeinschaft im Jahr 1966. Im selben Jahr übernahm er die Redaktion der von Pater Wendelin Gruber ins Leben gerufenen „Filipowaer Heimatbriefe“ und blieb 50 Jahre ihr Schriftleiter. Darüber hinaus verdanken wir seinem engagierten Wirken zahlreiche Publikationen zur „Donauschwäbischen Geschichte“ und eine ganze Reihe weiterer Veröffentlichungen.
Die Heimatbriefe hielten die Landsleute seiner Heimatgemeinde zusammen. Ab 1978 war er der Textgestalter der acht Bildbände „Filipowa – Bild einer donauschwäbischen Gemeinde“. 1979 trat er der Donuschwäbischen Kulturstiftung – Stiftung des privaten Rechts – München, bei und bemühte sich neben seiner Berufsarbeit als Lehrer für Philosophie und Religion und später im Ruhestand für 40 Jahre im Sinne eines donauschwäbischen Historikers. Er widmete sich mit Überzeugung der historischen Aufarbeitung des Leidenswegs der Heimatvertriebenen und wurde Teilverfasser und Herausgeber der ersten Gesamtdarstellung der Geschichte der Donauschwaben nach wissenschaftlichen Kriterien. Er sah sich in der Pflicht, allen Landsleuten, denen das Leben genommen wurde, eine Stimme zu geben. Das Vergessenwerden wäre ihre zweite Vertreibung und der späte Triumph des Unrechts.
Georg Wildmann wurde als erster der drei Söhne des Ehepaares Karl und Anna Wildmann am 29. Mai 1929 in Filipowa, einem donauschwäbischen Ort im heutigen Serbien, geboren. Seine Eltern betrieben in dem 5000 Einwohner zählenden Dorf eine Gemischtwarenhandlung. Er ging auf die deutschsprachige Volksschule und erlebte eine glückliche Kindheit in der agrarkulturellen Lebenswelt seiner Heimat. Die ersten vier Klassen des Gymnasiums absolvierte er am Deutschen Gymnasium in Neuwerbass. Im Oktober 1944 übernahm das kommunistische Partisanen-Regime unter seinem Chef Josip Broz Tito in Jugoslawien die Macht, entzog mit Beschluss vom 21. November 1944 alles Deutschstämmigen sämtlichen Besitz und die staatsbürgerliche Rechte und erklärte sie zu Volksfeinden.
Am 25. November ermordete ein Partisanenkommando auf der „Heuwiese“ 212 Jungmänner und Männer zwischen 16 und 60 Jahren aus Filipowa. Wäre Wildmann ein halbes Jahr älter gewesen, hätte er wahrscheinlich ebenfalls einen grausamen Tot erlitten. Im Zuge der Entrechtung der Deutschen Jugoslawiens musste er von November 1944 bis Mai 1946 Zwangsarbeit als Wald- und Feldarbeiter leisten.
Er entzog sich dem Hunger im Todeslager in einer gewagten Flucht am hellichten Tag. Nach einem weiteren Fluchtweg über Ungarn kamen seine Mutter, die drei Brüder und ein Großvater im Dezember 1946 in Linz/Donau an, wo Vater Karl Wildmann aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft entlassen worden war. Glückliche Umstände ermöglichten es Wildmann in Linz das Gymnasium mit Reifeprüfung abzuschließen. Nach erzwungener Flucht fand Familie Wildmann in Linz eine neue Heimat und konnte 1957, nach zehn Jahren Barackendasein, in ihr neuerbautes Siedlerhaus einziehen.
Georg studierte Philosophie und Theologie in Linz und Rom, promovierte mit einer Dissertation über die katholische Gesellschaftslehre zum Doktor der Theologie, leistete priesterlichen Dienst in der Diözese Linz und war Professor für Philosophie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule sowie Lehrer für Philosophie und Religion an Höheren Schulen.
Angesprochen von seinen Landsleuten half er 1966 mit, die Filipowaer Ortsgemeinschaft in Österreich, e.V. mit Sitz in Wien zu gründen. Im selben Jahr übernahm er im Herausgeber-Triumvirat Paul Mesli – Franz Schreiber – Georg Wildmann der Filipowaer Heimatbriefe die Schriftleitung. Er behielt sie 50 Jahre, bis 2016, auch nach dem Tod der beiden Mitherausgeber bei. Die Heimatbriefe brachten es bis 2016 auf rund 9.600 Druckseiten und wirkten als einigendes Band und als Stärkung der altheimatlichen Identität. Sie boten die Möglichkeit, länderübergreifende Filipowaer Großtreffen zu organisieren, die ab 1983 alle zwei Jahre in jeweils anderen Siedlungsschwerpunkten staatfanden. Wildmann war im selben Jahr mitbeteiligt bei der Errichtung der länderübergreifenden offenen Arbeitsgemeinschaft Filipowa („die ARGE“) und Organisator ihrer ersten Klausurtagung 1983. Die „ARGE Filipowa“ hatte ein Statut, einen Vorsitzenden und hielt jedes Jahr eine Klausurtagung ab. Über die Spenden für den „Heimatbrief“ sammelte sich ein kleines Kapital, das zur Finanzierung der Druckkosten diente, schließlich aber 2008 die Finanzierung der Gedächtnisstätte auf dem vormaligen deutschen Friedhof in Filipowa und 2011 die Errichtung einer Gedenkstätte für die Ermordeten des 25. November 1945 auf der „Heuwiese“ ermöglichte. Die Segnungsfeier-lichkeiten beider Stätten sind in Sondernummern der „Heimatbriefe“ dokumentiert.
Nach kirchlicher Entpflichtung vom Zölibat heiratete Georg Wildmann Erika Wendtner, Heimatvertriebene aus dem Sudetenland. Es wurde eine beglückende Lebensbindung. Markus, das Ältere der Kinder, blieb in der Reisebranche, Elisabeth (Lisa) Wildmann machte eine Karriere als Bühnenschauspielerin. Georg ortete sich weiterhin als Mann der Kirche und litt in seinen späten Jahren sehr unter dem Vertrauensverlust der Kirche und dem Schwinden der christlichen Humanität in Europa.
Paul Mesli, der universale Kenner des dörflichen Lebens, mobilisierte 1978 sein Team: Franz Schreiber und Georg Wildmann für die Erstellung eines Text-Bildbandes über das alte Filipowa. Das Buch bekam den Titel: Filipowa – Bild einer donauschwäbischen Gemeinde, bot ein optisches Panorama der altösterreichisch-deutschen Agrarkultur Pannoniens und fand Käufer in der überregionalen Ortsgemeinschaft. Bis 1999 wuchs daraus eine Serie von acht Bänden mit jeweils eigener Thematik. Es wurde eine Dokumentation eines schwäbischen Siedlungsortes auf knapp 2000 Druckseiten. Den letzten Band musste Wildmann allein verfassen, Schreiber war schwer krank und Mesli 1995 gestorben.
Auf Ersuchen seines Volksschullehrer Josef Volkmar Senz, dem Altmeister der volkstümlichen Geschichte der Donauschwaben, schloss sich Wildmann 1979 der von Senz gegründeten Donauschwäbischen Kulturstiftung – Stiftung des privaten Rechts – München, an und übernahm die Erarbeitung und Herausgabe einer auf mehrere Bände geplanten Donauschwäbischen Geschichte nach wissenschaftlichen Kriterien. Senz selbst hatte seiner einbändigen Gesamtschau der Geschichte der Donauschwaben die Bezeichnung „Volkstümliche Ausgabe“ gegeben. Es wurde für Wildmann ein langwieriges Unterfangen, gute, mit bescheidenem Honorar zufriedene Mitarbeiter zu finden und selbst bis ins hohe Alter zu forschen und zu schreiben. Es wurde der erste Versuch, aus eigener Kraft und ohne Unterstützung der öffentlichen Hand eine Gesamtgeschichte der eigenen Volksgruppe zu veröffentlichen. Einer musste die Ausdauer besitzen, aus Eigenem und aus vorliegenden historischen Fragmenten ein Ganzes zu schaffen, das als Ganzes mehr darstellt als die Summe seiner Teile. Bislang liegen vier Bände vor, am letzten wird gearbeitet. Wildmann musste aber auch mithelfen, das Leben der Landsmannschaften in Österreich und Deutschland durch Reden, Vorträge und zeitgeschichtliche Artikel zu stützen.
In Kreisen der Kulturstiftung ergriff Josef Beer in der Zeit des Zusammenbruchs des Kommunismus die Initiative, eine Art Trostbuch für die Deutschen des gerade zerfallenden Jugoslawiens abzufassen. Alle Orte, in denen Deutsche gelebt und die Verfolgung und Vernichtung erlitten hatten, sollten einen Ortsbericht besitzen. Es bildete sich ein Arbeitskreis Dokumentation, der mittels Erlebnisberichten 1991 das Buch „Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien – Ortsberichte“ herausbrachte. Die Materie erforderte aber weitere drei Bände, die bis 1995 alle je rund 1000 Seiten stark im Verlag der Kulturstiftung erschienen. Wildmann gestaltete und schrieb in allen vier Bänden. Im dritten, der zum größten Teil von ihm gestaltet wurde, arbeitete er erstmals die Abläufe der Erschießungen und die Unterschiede zwischen den Lagern heraus, in die die Deutschen Jugoslawiens ab Herbst 1944 interniert und – soweit sie überlebten – bis März 1948 festgehalten waren. Es ist ihm erstmalig gelungen, aus den gleichsam mosaikartig zusammengefügten Erlebnisberichten ein anschauliches Bild über die acht Konzentrationslager für Donauschwaben zu erstellen, die man als Vernichtungs- und in der Folge als Todeslager kennzeichnen muss. Das Gesamtbild über das Leidensschicksal hatte bislang gefehlt. Es ist erlittener Völkermord.
1998 musste er mit Verbrechen an den Deutschen in Jugoslawien 1944-1948. Die Stationen eines Völkermords eine handliche Zusammenfassung des „Leidenswegs“ nachreichen. Es wurde auch ins Serbische und Englische übersetzt.
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