Filipowa – eine donauschwäbische Gemeinde

Ein Haus im ehemaligen Filipowa, heute Bački Gračac (bis 1945 Filipowa). Foto: Kupferschmidt 2008

Was hat dieser Ort mit Bad Niedernau zu tun? Sehr viel, denn die von dort vertriebenen Bewohner haben in Bad Niedernau einen zentralen Ort gefunden. Hier existierte ihre Klosterschule weiter – und hier steht ihre Kapelle, für deren Errichtung sie im Konzentrationslager ein Gelöbnis abgelegt hatten.

1200 km liegen die Orte auseinander, doch entstand nach der Vertreibung der Deutschen aus Jugoslawien in Bad Niedernau ein neuer Treffpunkt der Donauschwaben.
Siedlungsgebiete der Donauschwaben. Vorlage: donauschwäbische Kulturstiftung München

Filipowa – eine Großgemeinde in der Batschka (heute Serbien)

Filipowa war eine ländlich geprägte Gemeinde mit Bauern, Handwerkern und Gewerbetreibenden. Die Lebenswelt des Dorfes war stark in die Rhythmen der Landwirtschaft und der religiösen Feste eingebettet. Nach der amtlichen Volkszählung von 1941 hatte das Dorf 5.300 Einwohner. In mehrfacher Hinsicht nahm Filipowa eine Spitzenstellung unter den donauschwäbischen Gemeinden ein: durch seinen Kinderreichtum, sein ausgeprägtes religiöses Leben, den hohen Stand seiner Bildung und Sitten sowie die weltweit ihresgleichen suchende Zahl seiner geistlichen Berufungen. Diese vier Elemente gingen Hand in Hand.
Allein in den letzten 50 Jahren seines Bestandes brachte der Ort über 130 Ordensschwestern und 50 Priester bzw. geistliche Berufe hervor.

Wie Filipowa gegründet wurde

Der Ort im heutigen Serbien wurde ab 1763 im damals zur österreichischen Monarchie gehörenden Gebiet gegründet und von katholischen Kolonisten aus dem südwestdeutschen Raum besiedelt. Die österreichische Kaiserin Maria Theresia hatte die Anwerbung ausgerufen und sie kamen zahlreich in die Ländereien der Batschka. 1767 waren es in Filipowa schon 214 Häuser in denen 890 Menschen lebten. Nach der Niederschlagung des Ungarnaufstandes im Revolutionsjahr 1848 wurde das Gebiet der Batschka und des Banats zu einem eigenen habsburgischen Kronland namens „Serbische Woiwodschaft und Temescher Banat“ erhoben. Aber bereits nach der Errichtung der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn im Jahre 1867 gehörte Filipowa wieder zum ungarischen Staatsgebiet.

Maria Theresia von Österreich (1717-1780) setzte wie ihr Vater und Vorgänger Karl VI. und ihr Sohn und Nachfolger Joseph II. die Besiedlungspolitik in den im Krieg mit dem Osmanischen Reich eroberten Gebieten in Südosteuropa fort.

Ein Ort in der Vielvölkerregion

Der Ortsname – laut einem frühen Hofkammerarchiv-Eintrag in Wien „Philippowa“ – verweist auf den Apostel Philippus und wurde in der Vielvölkerregion in jeder Sprache etwas anders ausgedrückt. 1867, mit der jetzt neu geschaffenen Doppelmonarchie, wurden die Bewohner ungarische Staatsbürger und die Amtssprache deutsch wurde durch ungarisch abgelöst. Ab 1904 hieß der Ort auch offiziell in ungarisch Szent Fülöp. Nach dem Ende der Doppelmonarchie gehörte – jetzt Filipovo / Филипово – die Großgemeinde zum neuen Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, ab 1929 Jugoslawien genannt.

Landwirtschaft und ein erfolgreiche Hanfindustrie bildeten das wirtschaftliche Rückrat der 5000-Seelen-Großgemeinde in der Batschka. Daneben existierte auch ein vielfältiges Handwerk, sogar eine Apotheke, zwei Arztpraxen und einen Tierarzt gab es am Ort.
Taglöhner bei der Hanfernte. Eine Hanffabrik war die einzige Industrie in dem 5000-Seelen-Städtchen. Sie verarbeitete den in der Region angebauten Hanf zu allerlei Waren.
Charakteristisch an Filipowa war, dass der Ort den größten Kinderreichtum unter den deutschen Gemeinden des Batscher Landes hatte.
Der Katholische Glaube und die Kirchentreue war tief verwurzelt im Leben der Filipowaer. Allein in den Jahren zwischen 1890 und 1940 traten 130 Mädchen in den Ordensdienst als Schwestern und 50 Jungen wurden Priester. Doch spaltete mit Beginn des Zweiten Weltkrieges die neue reichsnahe Ausrichtung des Schwäbisch-Deutschen Kulturbundes den Ort, einige wandten sich der neuen deutsch-nationalistischen Bewegung zu, andere blieben der kirchlichen Orientierung treu.

-> Lesen Sie mehr zur Geschichte der Kirche und des Kirchenbaus in Filipowa

Ortsplan der Bebauung bis in die 1940er Jahre. Quelle: Archiv Freundeskreis der Filipowaer
Sonntagsnachmittags trafen sich die Frauen und Männer an getrennten Orten. Freundschaften wurden gepflegt und vertieft. Fotos: Kupferschmidt, Archiv Freundeskreis der Filipowaer

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Während des Zweiten Weltkrieges

1941 besetzte Hitler-Deutschland Jugoslawien und die Region wurde wieder dem verbündeten Ungarn zugewiesen, die Filipowaer wurden wieder zu ungarischen Staatsbürgern. Anfang Oktober 1944 flüchteten mit den zurückweichenden deutschen Truppen rund 510 der 5 306 Einwohner vor der heranstürmenden Roten Armee, die schließlich Ende Oktober in Filipowa einrückte. Anfang November begann die Herrschaft der Partisanen der Jugoslawischen Volksbefreiungsarmee und damit die Vertreibung. Der Antifaschistische Rat der nationalen Befreiung Jugoslawiens (AVNOJ) erklärte alle Deutschen zu Volksfeinden. Sie verloren alles, alle Rechte, allen Besitz und waren vogelfrei der Willkür ausgesetzt. Erschießungen, Verschleppung zur Zwangsarbeit, Internierungslager und Vertreibung waren das Schicksal, das die jetzt über 5000 Filipowaer wie auch alle anderen deutschstämmigen Bewohner der Region erwartete. Gleich am 25. November 1944 wurden 212 Männer und Jugendliche von einem serbischen Partisanenkommando ausgewählt und auf einer Wiese vor dem Ort gequält, erniedrigt und ermordet. Nach serbischen, im Jahr 2006 veröffentlichten Dokumenten, wurde ein großer Teil von ihnen erschlagen.

Hauptgasse mit Kirche 1941. Foto: Archiv Freundeskreis der Filipowaer

Der Ort wurde auf grausame Weise geräumt. Es kam dabei auch zu Misshandlungen und Erschießungen. Am 31. März 1945, am Karsamstag, wurden alle Bewohner aus den Häusern getrieben. Der Ort war innerhalb von zwei bis drei Stunden geräumt. Wer nicht mehr gehfähig war, musste zurück gelassen werden. Nur das Pfarrhaus und das Kloster der Nonnen wurden verschont. 5000 bis 6000 Menschen (im Ort befanden sich auch Vertriebene aus Nachbarortschaften) sammelte man auf einer Wiese am Ortsrand, jetzt wurden die Arbeitsfähigen abgesondert. Diese mussten für die kommenden Wochen das Vieh versorgen und die Häuser räumen. Viele Mütter mussten deshalb ihre Kindern zurücklassen. Allen wurden ihre Wertsachen abgenommen. Im Dorf wurden derweil Häuser leergeräumt. Die Ausgeplünderten verfrachtete man in Viehwaggons, die – nach drei Stunden Fahrt wurde es klar – in das Internierungslager Gakowa fuhren.

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-> Mehr zur Polarisierung der Bevölkerung des Ortes ab 1935

-> Mehr zum Massaker auf der Heuwiese

-> Mehr zur Vertreibung der Filipowaer

Filipowa wird zu Bački Gračac

Nachdem der Ort geräumt war, zogen schon im Herbst 1945 serbische Kolonisten aus der Lika, im dalmatischen Gebirge Kroatiens, in die Häuser ein – seitdem heißt der Ort Bački Gračac, nach dem Ort Gračac, aus dem sie gekommen waren. Wenige deutsche ehemalige Bewohner holte man zurück, um beispielsweise die Hanffabrik und die Mühle weiterhin in Betrieb zu halten und die neuen Besitzer in die pannonische Landwirtschaft einzuweisen. Auch einige der Armen Schulschwestern blieben noch bis Mitte der 1950er Jahre in Filipowa zurück.

-> Mehr zur Räumung des Ortes

-> Mehr zur Deportation in die Sowjetunion

Kloster und Schule 1941. Vorlage: Archiv Freundeskreis der Filipowaer
Weniges blieb gleich – die ehemalige Klosterschule der Armen Schulschwestern ist heute noch Schule. Foto: Lang 2018
Vieles veränderte sich – die einst 1806 erbaute Kirche wurde von den neuen Bewohnern des Ortes nicht mehr genutzt. Sie waren orthodoxen Glaubens. 1951 beschädigte ein Sturm das Dach – der Verfall war nicht mehr aufzuhalten. Schließlich wurde die Kirchenruine 1967 mit Zustimmung des Bischofs abgerissen. Die Dreifaltigkeitssäule, der Mittelpunkt des Orts, und das Ahnendenkmal waren schon 1945 zerstört worden.
Die Friedhofskapelle war ebenfalls beschädigt.
Die Friedhofskapelle mit ihrer lebensgroßen Kreuzigungsgruppe1941. Foto: Archiv Freundeskreis der Filipowaer
Der durch Vandalismus zerstörte deutsche Friedhof 1954 – hier Sr. Cherubina, die spätere Oberin in Bad Niedernau. Foto: Kupferschmidt
Eine typische Filipowaer Straße, wie sie sich 2018 im teilweise restaurierten Zustand mit den schwäbischen Häusern des 19. Jahrhunderts zeigt. Foto: Lang 2018

-> Die Erinnerungen an Filipowas Geschichte von Dr. Georg Wildmann

Dr. Raimund Eichinger; Filipowa nach Filipowa; Sozialgeographische Entwicklung einer donauschwäb. Gemeinde nach der Vertreibung. Dissertation 1987 an der Universität Graz.

Hier ein Auszug von Statistiken aus dieser Arbeit:

Einwohnerschaft 1945 nach Herkunft, Haushalt und Beruf gegliedert:

Einwohnerzahlen 1945:

Donauschwaben5280
Madjaren15
Slawen11
Insgesamt5306

Familiäre Gliederung 1945:

Häuser801
Haushalte1431
Familien1121
Alleinstehende310

Berufständische Gliederung:

Bauern 348
Handwerker/Gewerbetreibende 382
Arbeiter/Tagelöhner391

Kriegs- und Lageropfer

Im II. Weltkrieg als Soldaten gefallen 165
Am 25.11.1944 von Partisanen ermordet 212
Als Zwangsarbeiter in der Sowjetunion verstorben 53
Erschossen oder erschlagen 24
Als Zivilisten oder Soldaten vermisst 69
Auf der Flucht (1944/48) verstorben 57
In den Lagern verhungert bzw. verstorben 833
Gesamtzahl der Kriegs- und Lageropfer 1413

Der Ort verlor demnach durch Krieg und Verfolgung 26,7 Prozent seiner Einwohnerschaft


Nach dieser Statistik waren von den in Jugoslawien verbliebenen Bewohnern Filipowas Anfang April 1945:

lagerfrei in Flipowa 2,4%
im Lager Filipowa 19,5 %
im Konzentrationslager Gakowa 57,2 %
in Arbeits- u. anderen Konzentrationslagern 21,0 %

Von denen, die fliehen konnten, flohen:

von April 1945 bis März 1947 28,5%
im März 194714,3%
im April 194725,3%
im Mai 194717,4%
von Juni 1947 bis Januar 1948

Für 3 weitere Jahre zwangsverpflichtet
10,8%

3,7%

Neue Heimat nach der Vertreibung
Nach Stand vom 1. Dezember 1987 waren von den vertriebenen Bewohnern Filipowas sesshaft geworden in:
Europa

BRD2168
Österreich1078
Ungarn97
Jugoslawien59
DDR50
Schweiz9
Frankreich8
CSSR2
Italien2
Insgesamt3437

Übersee

USA308
Kanada96
Südamerika8
Afrika5
Austalien, Neuseeland8
Insgesamt 425

Von den 5306 Einwohnern Filipowas haben 3898 überlebt und in 18 Ländern eine neue Heimat gefunden, 89 Prozent in Europa, 11 Prozent in Übersee.


1947 bedeutete für die Überlebenden das Hauptfluchtjahr.


Die gebürtigen Filipowaer bauten sich weltweit zu 80 Prozent Eigenheime.

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